Aktuelles Metall & Elektro
31/01/2018

"Ihr schreibt Geschichte!"

  • Vor Thyssen-Krupp Rothe Erde, Lippstadt / 10 Fotos: Thomas Range
  • Vor Geberit, Langenfeld / 7 Fotos: Stephen Petrat

Die Beschäftigten von acht Metallbetrieben in NRW sind am Dienstagabend mit Beginn der Nachtschicht in den ersten 24-stündigen Warnstreik getreten.

Lippstadt, 30. Januar, 22 Uhr: „Dieser Betrieb wird bestreikt!“ steht auf einem Transparent neben dem Pförtnerhäuschen von Thyssen-Krupp Rothe Erde. Die Polizei hat eine Hälfte der Beckumer Straße gesperrt; ihr Blaulicht ist von weitem zu sehen. Die Zufahrt zum weltweit führenden Hersteller von ist versperrt. Die Spätschicht verlässt durch ein 6 mal 12 Meter großes Streikzelt den Betrieb; wer Zeit und Lust hat, spielt Kicker; zwei Heizpilze verbreiten wohlige Wärme. Es ist ein Grad. In der Firma sind jetzt nur noch – für den Notfall – vier Instandhalter unterwegs, und drei Pförtner. 

Das Unternehmen zählt 1320 Beschäftigte. 90 Prozent sind Mitglied der IG Metall. Wie hoch ist der wirtschaftliche Schaden, der durch den Streik entsteht? „Wenn die Rothe Erde 24 Stunden still steht, entgeht der Firma eine Million Euro Umsatz“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Christian Julius. 

Der Platz vor der Lastwagen-Bühne ist hell erleuchtet. Aus den Lautsprechern dröhnt „Highway to Hell“. Hoch oben am pechschwarzen Himmel steht der fast kreisrunde Mond. „Toll, dass Ihr hier seid!“, ruft der IG Metall-Bevollmächtige von Hamm-Lippstadt ins Mikro. „Wir sind hier, weil die Arbeitgeber uns weniger Geld geben wollen als zuletzt, 2016“, erklärt er, stockt eine Sekunde, sagt „das war ne Scheißmaloche, das hier zu organisieren“ – und hat die Lacher auf seiner Seite. „Sollte es am Wochenende wieder kein Verhandlungsergebnis geben, schmeißen wir den Riemen von der Orgel“, umschreibt Eilers den Beginn der Urabstimmung für einen unbefristeten Streik. 

IG Metall-Bezirksleiter Knut Giesler ruft den mehreren hundert Beschäftigten zu: „Ihr schreibt Geschichte! Hier findet der erste 24-Stunden-Streik der IG Metall statt – und Ihr seid dabei.“ Den Arbeitgebern wirft Giesler vor, am Freitag/Samstag vergangener Woche in Stuttgart keine Einigung gewollt zu haben. „Wer uns nichts bietet, kriegt unsere Antwort auf der Straße.“ Am Mittwoch, Donnerstag und Freitag dieser Woche würden allein in NRW 75.000 Beschäftigte aus fast 70 Betrieben für einen Tag die Arbeit niederlegen. Die Arbeitgeber forderte Giesler auf, ein „vernünftiges Angebot“ auf den Tisch zu legen. Die IG Metall fordert sechs Prozent mehr Entgelt und selbstbestimmte Arbeitszeiten. 

Vier Metaller fackeln vor der Bühne Bengalos ab. Heiko Fänger singt zur Gitarre eins der bekanntesten Arbeiterlieder: „Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zum Essen, bitte sehr! Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt, das schafft kein Essen her.“ Der Refrain wandelt er ein bisschen um: „Reih Dich ein in die Arbeitereinheitsfront, weil Du auch ein Metaller bist.“ 

Irina Vavitsa, 66, freut ist. Die gebürtige Griechin, jetzt Rentnerin, hat 44 Jahre lang bei Hella – gegenüber von Rothe Erde – gearbeitet. Sie erinnert sich an ihren letzten Streik – das war Mitte der 1980er Jahre, es ging um die 35-Stunden-Woche. Sie redet wie ein Wasserfall, erzählt von den tausenden, zumeist ausländischen Arbeitern, die damals vor dem Werk standen. Sie war und ist wieder „stolz, dabei zu sein“. 

Mehr Fotos: Warnstreik vor Geberit in Langefeld

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