Stahl Tarifrunde 2010
23/09/2010

Heute 11.500 Stahlarbeiter im Warnstreik

Mit voller Wucht: Die IG Metall hat die Warnstreiks in der nordwestdeutschen Stahlindustrie heute massiv ausgeweitet. 11.500 Beschäftigte aus 38 Betrieben legten bis zu vier Stunden die Arbeit nieder. Allein in Duisburg, Europas größtem Stahlstandort, waren es 4000. Vier Hochöfen waren heruntergefahren worden; die Produktion ruhte. Die Kundgebung vor der Hauptverwaltung von Thyssen-Krupp war so unterhaltsam wie nie.

Duisburg-Hamborn, Kaiser-Wilhelm-Straße 100: "Bonze" Daniel Brouwers - Sonnenbrille, Krawatte, schwarzer Anzug - streckt seinen Kopf aus der schneeweißen, 8.60 Meter langen Stretch-Limousine, hält ein Plakat hoch mit der Aufschrift "Eure Armut - Euer Problem", zieht genüsslich an seiner dicken Zigarre und wedelt mit einer Handvoll "Blüten" - 60-Euro-Scheinen. Exakt so viel mehr fordern die Azubis in dieser Tarifrunde. Plötzlich stürmt eine Gruppe von ihnen das Bonzen-Auto, überwältigt den als Arbeitgeber verkleideten IG Metaller, der jetzt bereitwillig den Kofferraum öffnet - und holt sich, was ihr zusteht: Massenhaft wirbeln 60-Euro-Scheine durch die Luft. Die Botschaft der Aktion, nachzulesen auf einem Transparent, lautet: "Jetzt wird umfairteilt!" Wer kämpft, kriegt was er will.

Nebenan ist noch ein Arbeitgebertyp in Aktion: Dennis Blay, im Zivilleben Betriebsrat von Thyssen-Krupp, versteigert auf der Leiharbeitsbörse Facharbeiter. Gut ein Dutzend Industriemechaniker, Elektriker und Schlosser kommen "unter den Hammer" - und gehen für 2,50 bis 5 Euro die Stunde weg. Mit hochrotem Kopf preist der Auktionator einer Gruppe von Arbeitgebern seine Ware an: Die Leiharbeiter seien hochqualifiziert, flexibel "bis der Arzt kommt" und arbeiteten bis zu 60 Stunden in der Woche. "Gewerkschaft, Betriebsrat, Tarifvertrag? Das kennen die gar nicht!"

Vor dem Stand mit den 6-Prozent-Brezeln stehen Demonstranten Schlange. Andere leisten auf einer über 100 Meter langen Leinwand ihre Unterschrift gegen die Rente mit 67; ein paar Rollatoren symbolisieren ein Schreckensszenario: "Stahlarbeiter mit 67?" An einem Kankenhausbett klebt ein Stück Papier mit der Aufschrift "Arbeiten bis zum Umfallen? Arbeitsbelastung für Ältere runter!" Viele Auszubildende unterschreiben auf einem mannshohen gelben Plakat die Aussage "Mehr ist fair - Vom Profit profitieren..." Die Rockmusik der US-Band Daniel T. Coates schallt über die Kaiser-Wilhelm-Straße - Disco-Feeling vor Thyssen-Krupp. 

Der Stillstand der Hochöfen sei genau "das, was die Arbeitgeber brauchen, um endlich in Bewegung zu kommen", sagt der IG Metall-Bezirksleiter von NRW, Verhandlungsführer Oliver Burkhard. Und er bekräftigt die Tarifforderungen der IG Metall: "Vom Aufschwung müssen alle profitieren - Schluss, aus, Mickymaus." Großer Applaus! Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Thyssen-Krupp Steel Europe, Willi Segerath, betont das Gemeinsame aller Fußballfans: "Ob Schalke-, Dortmund- oder Duisburg-Fan - wenn's drauf ankommt, stehen wir im Stahl zusammen und holen uns, was uns zusteht."

Für kurzfristigen Ärger hatte im Vorfeld der Kundgebung die Geschäftsführung der Eisenbahn+Häfen GmbH gesorgt: Sie drohte erstmals an, Beschäftigte von der Teilnahme am Warnstreik abhalten zu wollen. Der Betriebsrat erinnerte sie daran, dass Warnstreiks ein legitimes Kampfmittel sind - und die Sache verlief im Sand, die E+H-Beschäftigten nahmen an der Kundgebung teil.

Zuvor hatte schon eine in Duisburg-Hüttenheim stattgefunden. Der IG Metall-Bevollmächtigte Jürgen Dzudzek sagte, dass in der Stahlindustrie "wieder richtig Geld verdient wird", und es sei "nur fair, dass wir daran teilhaben wollen".

IG Metall-Tarifsekretär Manfred Menningen schlug in dieselbe Kerbe: Vor der Belegschaft von Vallourec&Mannesmann in Düsseldorf sagte er: "Jetzt sind wir dran. Und wir werden uns notfalls holen, was uns zusteht."

In Bochum fanden heute gleich drei Veranstaltungen statt. Auf der mit 1500 Teilnehmern größten empfahl Klaus Löllgen, der Stahlexperte der IG Metall-Bezirksleitung NRW, den Arbeitgebern, "nicht ferngesteuert zu handeln" - eine Anspielung darauf, dass die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mächtig Druck auf die Stahlarbeitgeber ausübt, in der Leiharbeit den Grundsatz "gleiche Arbeit - gleiches Geld" auf keinen Fall tarifvertraglich festzuschreiben.

Die Arbeitgeber haben verlauten lassen, sie wollten "versuchen", in der dritten Verhandlung am 29. September ein Angebot vorzulegen, stand in der WAZ. Dem Wittener IG Metall-Bevollmächtigten Manfred Müller ist das zu entschieden wenig; vor 500 Warnstreikenden der Deutschen Edelstahlwerke sagte er: "Wir erwarten keine Versuche, sondern ernsthafte Angebote."

Sollte es dazu nicht kommen, könnte es dazu kommen: "Dann wird die Tarifkommission beim Vorstand der IG Metall beantragen, dass die Urabstimmung durchgeführt und ein Streik vorbereitet wird." Das sagte der Gelsenkirchener IG Metall-Bevollmächtigte Robert Sadowsky heute früh auf dem Schalker Markt vor Beschäftigten von Thyssen-Krupp Electrical Steel und Saint Gobain. Sadowsky weiter: "Notfalls werden wir auch das Mittel des Arbeitskampfes einsetzen."

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