Industrielle Arbeit 2020
15/10/2013

„Mitgestalten statt hinterherlaufen“

Zuerst kam die Dampfmaschine und revolutionierte die Produktion, dann folgte die Massenfertigung durch Elektrizität und später die IT-Technik. Steht uns mit Industrie 4.0 jetzt die vierte industrielle Revolution bevor? Dieser Frage gingen heute die IG Metall NRW sowie Arbeit und Leben Bielefeld in Paderborn nach.

Ein Schlaglicht, das vieles erhellt: „Wo werden Betriebsräte am Zukunftsprojekt Industrie 4.0 beteiligt?“, will IG Metall-Sprecher Wolfgang Nettelstroth kurz vor der Mittagspause wissen, nachdem mehrere Vorträge zum Thema gehalten worden sind. Vor Nettelstroth, im Heinz-Nixdorf-Museumsforum, sitzen gut 100 Betriebsräte, IG Metall-Sekretäre und Unternehmensvertreter, hauptsächlich aus Ostwestfalen-Lippe. Doch Nettelstroth zählt nur achte Hände. Auf seine Gegenfrage, welche Betriebsräte nicht beteiligt werden, reagieren deutlich mehr Teilnehmer.

"Absolutes Expertenthema"

Beate Kautzmann, die IG Metall-Bevollmächtigte von Gütersloh-Oelde, lässt Luft ab. Im Forum „Arbeit 4.0 in der Industrie 4.0 – Wir gestalten mit!“ stellt sie erst einmal fest: „Wir gestalten im Moment noch gar nichts mit!“ Industrie 4.0 sei „kein Thema in den Betrieben“, sondern „ein absolutes Expertenthema“. In den Vorträgen hat Kautzmann zu oft gehört, dass bei Industrie 4.0 der Mensch im Mittelpunkt stehe. Ironisch kommentiert sie: „Das ich das noch erleben darf!“ Und fragt: „Welche Menschen? Und was ist mit dem Rest?“ Sie lasse sich von neuer Technik begeistern, sei „keine Maschinenstürmerin“, sagt Kautzmann. Aber vorbehaltlos ja sagen zu Industrie 4.0 – das ist nicht ihre Sache.

Der Mensch kommt ihr zu kurz. Und sie kann das gut begründen: Der Name des Technologie-Netzwerks „it’s OWL“ steht für „intelligente technische Systeme Ostwestfalen-Lippe“; ginge es nach Kautzmann, müsste es „intelligente technische und soziale Systeme“ heißen.

Glühender Befürworter 

Als glühender Befürworter der bevorstehenden, aber schleichenden industriellen Revolution entpuppt sich Henning Kagermann (Foto 5), der Präsident der Akademie der Technikwissenschaften, München. Seine Vision lautet: Industrie 4.0 erlaubt die Verwirklichung individueller Kundenwünsche – und ist trotzdem rentabel; die Vernetzung von Maschinen und Zulieferfirmen, Beschäftigten und Kunden ermöglicht eine höchst flexible und dezentral gesteuerte Produktion; gefragt seien „weniger Maschinenbediener, mehr Erfahrungsträger und Entscheider“.

Dass in der Industrie von morgen der Mensch bloß ein verlängerter Arm der Technik sein wird – diese Befürchtung kann selbst Miele-Technikvorstand Eduard Sailer nicht zerstreuen. Der Mensch solle „die letzte Entscheidung treffen“, meint er, sagt aber auch, wie Industrie 4.0 sich real darstellen werde, „wissen wir noch nicht“.

IG Metall mischt sich frühzeitig ein 

Damit die Beschäftigten nicht das Nachsehen haben, mischt sich die IG Metall NRW ein. Viele Betriebsräte haben durch sie erfahren, dass ihre Geschäftsführung am Thema Industrie 4.0 arbeitet, an „it’s OWL“ beteiligt ist. Man wolle „mitgestalten statt hinterherlaufen“, sagt IG Metall-Bezirksleiter Knut Giesler (Foto 1).

Detlef Wetzel (Foto 4), der zweite Vorsitzende der IG Metall, bekräftigt das: „Wir wollen bestehende Arbeitsplätze sichern und – wenn’s geht – neue schaffen.“ Industrie 4.0 sei „nicht nur ein technisches, sondern auch ein soziales Projekt“. Und es sei bestimmt „kein Garten Eden, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber unterm Apfelbaum sitzen“. Die Arbeitswelt von morgen werde nicht ohne Konflikte zustande kommen. Aber die IG Metall werde daran gemessen, ob es ihr gelinge, sie mitzugestalten.

www.its-owl.de
www.forschungsunion.de/pdf/industrie_4_0_abschlussbericht.pdf 

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