Gemeinsam für ein gutes Leben
01/10/2011

„Dafür habt ihr euren Arsch bewegt!“

Was für ein Fest! Heute in Köln: 20.000 junge Metaller und Metallerinnen - allein aus NRW 7000 - machten sich stark für die unbefristete Übernahme nach der Ausbildung. Der Jugendaktionstag der IG Metall war keine Protest-Demo alten Stils. Hier traf Politik auf Spaß – und beides versteht sich prächtig!

„Ü-ber-nah-me un-be-fris-tet???. Immer wieder skandieren Jugendliche in schwarz-gelben T-Shirts diese acht Silben. So werden zwei Wörter zum Ohrwurm. Und wer „Arbeit: sicher und fair“, den Kampagnen-Slogan der IG Metall, gerappt hört, der vergisst ihn nicht mehr.

Der Neumarkt, ein von Bäumen umrundetes Oval im Herzen Kölns, füllt sich – langsamer als geplant. Die Rheinmetropole erlebt mal wieder einen Verkehrsinfarkt; einige der 400 IG Metall-Busse stecken im Stau. Und die Metaller aus allen Teilen der Republik sind nicht die einzigen, die heute in die Domstadt strömen. Doch um 14 Uhr stehen 20.000 Menschen auf dem Neumarkt.

Wer gehört werden will, muss sich Gehör verschaffen

„Laut und stark“ ist nicht nur das Motto des Tages. Lautstark geht es auch während der Reden zu. Wer immer auf der schwarzen gewandeten, 15 Meter breiten Bühne spricht – er muss sich lautstark Gehör verschaffen. Zu sehen ist er auch von ganz hinten: Das Bühnengeschehen wird auf Großleinwände übertragen.

„Wir ballen die Fäuste für Zukunft und Perspektiven“, ruft Eric Leiderer vorn ins Mikro. „Wir steigen in den Ring für ‚Arbeit: sicher und fair’. Und wir gehen mit unserer Forderung nach unbefristeter Übernahme in die entscheidende Runde – in die Tarifrunde.“ Leiderer ist Bundesjugendsekretär der IG Metall. Und offenbar Box-Experte. Er zitiert Jack Johnson, den ersten schwarzen Box-Weltmeister im Schwergewicht, der 1908 nach dem entscheidenden Kampf sagte: „Ich habe nie an meinem Sieg gezweifelt.“ Leiderer kriegt spielend die Kurve zum Jugendaktionstag: „Wenn ihr euch an heute erinnert, was das hier für eine Power ist, dann werden wir nicht zu schlagen sein!“ Leiderer redet sich in Rage. Doch plötzlich klingt er ganz sachlich: „Wer uns die Zukunft verbaut, hat ein Problem.“

"Keine Ausreden mehr - ich will Taten sehen"

Milan Huhn, 27, aus Hamburg wird gefragt, warum er hier ist: „Weil ich wütend bin!“ Zu viele junge Leute hätten keine Chance auf eine gute Ausbildung, sagt er. Politik und Wirtschaft sollten endlich ihre Verantwortung wahrnehmen. „Ich will keine Ausreden mehr hören. Ich will jetzt Taten sehen!“

Auch IG Metall-Vize Detlef Wetzel zieht vom Leder. Die Politik habe die Interessen der Jugend ignoriert, ruft er – „und damit machen wir Schluss heute“. Die junge Generation dürfe von der gesellschaftlichen Entwicklung nicht abgekoppelt werden, ihre Zukunft könne nicht aus Praktika, Befristungen und Leiharbeit bestehen. Für die Interessen der Jungen kämpfe „die ganze IG Metall“, sagt der Zweite Vorsitzende. „Solange, bis Politik und Wirtschaft nicht mehr daran vorbeikommen.“ Die IG Metall habe „die Macht und die Kraft, in dieser Gesellschaft einiges zu verändern“.

Fünf Bälle - fünf Forderungen

Fünf riesige rote Bälle – drei Meter im Durchmesser – werden von der 180 Quadratmeter großen Bühne in die Menschenmenge gerollt. Auf ihnen stehen die Forderungen der IG Metall-Charta "Junge Generation": Für sichere Arbeit. Für gute Arbeit. Für die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Für gerechte Chancen auf Bildung und Ausbildung. Für soziale Sicherheit.

Tausende gelbe Boxhandschuhe werden verteilt – und prompt zweckentfremdet: Sie fliegen als Wurfgeschosse über den Platz. Auf ihnen steht „Ich kämpfe für…“ „Gerechtigkeit“ schreibt Christian Rück, 22, aus Schwäbisch-Hall mit schwarzen Filzstift darunter.

Die IG Metall ist die größte politische Jugendorganisation. Das weiß man. Hier erlebt man’s. Und das ist ein Unterschied.

Stiller Zuhörer beim Auftakt auf dem Neumarkt: Berthold Huber

Zu spüren ist das schon bei den drei Auftaktkundgebungen. Auf dem Heumarkt in der Kölner Altstadt, nur einen Steinwurf vom Rhein entfernt, treffen sich die Metaller aus NRW, Baden-Württemberg und Niedersachsen-Sachsen-Anhalt. "Wer meint, die IG Metall sei veraltet, der sollte sich das hier mal anschauen", ruft der Düsseldorfer Bezirksjugendsekretär Thomas Hay ins Mikro. "Wir sind jung und quicklebendig." Ein paar Meter vor der Bühne steht ein älterer Herr, weißes Hemd, graues Jackett, und lächelt stillt: Berthold Huber, der IG Metall-Vorsitzende. Neben ihm tanzen zehn schwarze Gewerkschafter aus Südafrika, die - auf seine Einladung - erstmals Deutschland besuchen.

Auf der Bühne zeigen zwei Feuerspucker, dass sie Feuer und Flamme sind für die Forderung nach unbefristeter Übernahme. Die IG Metall-Bezirksleiter Oliver Burkhard (Düsseldorf), Jörg Hofmann (Stuttgart) und Hartmut Meine (Hannover) laufen auf. Und erklären mit einem Satz, warum sie für die unbefristete Übernahme sind. Burkhard: "Weil ich nicht will, dass eine ganze Gerneation abgehängt wird!" Auf die mannshohe Tafel neben ihm schreibt er: "Weil sie jetzt abschlussreif ist!"

Drei Kilometer Fußmarsch in eineinhalb Stunden

Um 15 Uhr, nach der Hauptkundgebung, geht's beschwingt und im Tanzschritt Richtung Deutzer Brücke. Für den Autoverkehr ist die Straße gesperrt. „Wir sind hier und wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut“, ruft Dahar, 25, aus Essen in die Flüstertüte. Und hängt noch einen Spruch dran: „Mini-Jobs und Leiharbeit – Sklaverei der neuen Zeit.“

Der drei Kilometer lange Fußweg ist schweißtreibend. Die Sonne brennt vom wolkenlos-blauen Himmel. Das Wetter-App meines I-Phones zeigt 24 Grad Celsius an. Die Strecke bietet kaum Schatten, nur hin und wieder weht ein bisschen Wind. Nach anderthalb Stunden Gänsemarsch erreichen wir die Köln-Arena.

Die Getränkewagen werden in Dreierreihen belagert. Wasser, Cola und Bier können nicht so schnell fließen wie wir Durst haben. Wurstbrötchen und Pizza-Stücke gehen weg wie am Fließband. Taschenkontrollen am Eingang: Flaschen und Dosen raus.

So jung war die IG Metall noch nie und nirgends

Die Halle füllt sich – bis in die obersten Ränge. Hier spielen sonst die Kölner Haie, in diesem Monat treten noch Michael Mittermeier und Britney Spears auf. Auf Stöckelschuhen und in einem knapp sitzenden Silberglitzerkleid läuft Comedy-Star und Moderatorin Carolin Kebekus auf die Bühne; sie fühlt sich „wie Mario Barth – weil ihr so viele seid und noch dazu freiwillig hier“. Kein Wunder bei dem Programm: Erst rockt Mono & Nikitaman die Bühne; ihr aktuelles Album heißt „Unter Freuden“. Irgendwie passend. Dann folgen die Berliner Indie-Rock-Band Jennifer Rostock, die fünf Pop-Rocker von Revolverheld aus Hamburg und – als Höhepunkt des Abends – die Hip-Hop-Truppe „Culcha Candela“ („Heiße Kultur“), ebenfalls aus Berlin. Und das alles für nur zehn Euro. Busfahrt inklusive.

So jung wie heute Abend in Köln war die IG Metall noch nie und nirgends. Boris Wensing, IG Metall-Sekretär aus Düsseldorf, steht mitten in der Menschenmenge, schüttelt ungläubig den Kopf, sagt einfach nur: „Ist das geil hier!“ Ein 55-jähriger Metaller ist überwältigt: „Da möchte man glatt noch einmal IG Metall-Mitglied werden“, sagt er.

„Ihr seid heute für etwas unfassbar Wichtiges auf die Straße gegangen – für eure Zukunft“, lobt Carolin Kebekus ihr Publikum. „Dafür habt ihr euren Arsch bewegt, und darauf könnt ihr stolz sein!“

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