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04/07/2013

„Ich setze den Mindestlohn von 8,50 Euro durch“

Politikverdrossen? 480 Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen sind das nicht. Sie besuchten heute Abend die Diskussionsveranstaltung der IG Metall NRW im Industriemuseum Hattingen. Motto: „Politik trifft Wirklichkeit“: eine zweistündige Debatte ohne eine Minute Langeweile.

„Politik“ – dafür standen der IG BAU-Bundesvorsitzende und SPD-Schattenarbeitsminister Klaus Wiesehügel (Foto 2), die Bundestagsabgeordneten Klaus Ernst (Die Linke / Foto 3) und Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen - Foto 4) sowie der Vorsitzende der Jungen CDA, Dennis Radtke (Foto 5), bis auf den Grünen allesamt Gewerkschafter. „Wirklichkeit“ – dafür standen die Betriebsräte Gerd Kreutzer (MAN Oberhausen/Foto 6), Hartmut Schink (Thyssen-Krupp Steel Europe/Foto 7) und Andreas Wendland (Siemens Bocholt/Foto 8). Die Betriebsräte standen auch für die drei Kernthemen des Abends: Leiharbeit und Werkverträge, Rente sowie Energiewende und EU-Krise.

Leiharbeit verbieten, der Mitbestimmung unterstellen oder nur begrenzen?

Fast zehn Prozent der MAN-Beschäftigten in Oberhausen sind Leiharbeiter, berichtet Kreutzer – und zwar seit Jahren. Er schildert den Fall eines 28-Jährigen, der genau deshalb keine Mietwohnung gefunden hat: Sein Einkommen ist Vermietern zu unsicher. Kreutzers Schlussfolgerung: „Leiharbeit gehört verboten!“ Das will Wiesehügel nicht; er plädiert vielmehr dafür, Leiharbeit und Werkverträge mitbestimmungspflichtig zu machen. Ernst möchte der Leiharbeit beikommen, in dem vom ersten Tag an das Prinzip „gleiche Arbeit – gleiches Geld“ gilt. Der CDU-Mann Radtke möchte die Leiharbeit nur begrenzen, beispielsweise eine maximale Verleihzeit einführen. Der Grüne Kurth ist – wie Wiesehügel – dafür, Scheinwerkverträge strafrechtlich zu verfolgen: „Den Sozialkassen gehen Millionen durch die Lappen.“

Rente mit 67 oder auf eine Maß Bier verzichten

In vielen Betrieben baut sich ein gewaltiger Druck auf: Viele Beschäftigte wollen früher in Rente, können das aber nicht oder nur, indem sie hohe Abschläge in Kauf nehmen. Das schildert Hartmut Schink am Beispiel des Stahlriesen Thyssen-Krupp. Die Folge: Die Zahl der Anträge auf Erwerbsminderung steigt, und der Krankenstand auch. Schink: „Nach 35, 40 Jahren Wechselschicht bist du ausgepumpt.“ Von Rente mit 67 hält Schink deshalb nichts: „Die muss weg!“ Dem stimmt von den Politikern nur Ernst zu – und schießt ein paar Zahlen hinterher: Nur 10 Prozent der 64-Jährigen Arbeitnehmer haben einen Job, für 90 Prozent ist die Rente mit 67 also pure Rentenkürzung. Und: Um die Rente mit 65 halten zu können, bedarf es nur eines 0,25 Prozent höheren Rentenbeitrags, das sei „weniger als eine Maß Bier auf dem Oktoberfest“ kostet.

Wiesehügel, der bekannte und bekennende Gegner der Rente mit 67, sagt, dass es dafür keine Mehrheit in der SPD gebe. Aber im Gesetz stehe, dass 2014 geprüft werden muss, ob mindestens die Hälfte der 60- bis 64-Jährigen sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist; und diese Prüfung werde er als Arbeitsminister vornehmen.

Was die Energiewende und der EU-Krise zu tun hat

Siemens-Betriebsrat Wendland, ein ruhiger und besonnener Mann, formuliert es drastisch: Die Energiepolitik der Bundesregierung sei „ein Desaster“. Erst sollte die AKW-Laufzeit verlängert, dann auf Null gedreht werden. Mal wurde alternative Energie gefördert, mal die Förderung zurückgenommen. Das Ergebnis: keine Planungssicherheit. Der Windgetriebehersteller Siemens büßt seinen halben Umsatz ein, jeden Tag gehen Arbeitsplätze verloren – „eine blanke Katastrophe“, sagt Wendland.

CDAler Radtke räumt ein, dass die Union das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nur „weiterentwickeln“ will – „eine blumige Formulierung“. Immerhin. Wiesehügel, Ernst und Kurth äußern sich dazu gar nicht. Sie springen auf ein anderes Thema, das Wendland anspricht: Die Sparpolitik, die Merkel und Co. in Brüssel und anderswo den Südeuropäern aufzwingt, holt uns ein; mit Aufträgen aus Ländern wie Spanien kann Siemens nicht mehr rechnen.

Das führe Deutschland „in den industriellen Untergang“, glaubt Wiesehügel. Ernst vergleicht die Politik der Troika (EZB, IWF und EU-Kommission) mit einem Arzt, der – nachdem ein Medikament nicht wirkt – die Dosis erhöht: „Der hat sie doch nicht mehr alle!“

In der letzten halben Stunden kommen die Zuhörer zu Wort, das Thema Mindestlohn wird angesprochen. Wiesehügel ist dafür, 8 Euro 50 soll er betragen, sagt er – und legt sich fest: Als Arbeitsminister werde er zuallererst den gesetzlichen Mindestlohn durchsetzen.

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