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19/12/2015

Demo gegen Vaillant, Gier und Lügen

Vaillant in Gelsenkirchen arbeitet profitabel, soll aber 2018 geschlossen werden. Dagegen protestierten heute 400 Menschen.

19. Dezember, kurz vor 10 Uhr: Vor dem MIR (Musiktheater im Revier) am Kennedyplatz in Gelsenkirchen stehen schon einige hundert Demonstranten. Jemand singt „Alle Eure Sorgen werft auf Ihn, denn Er sorgt für Euch!“ Es ist der katholische Pfarrer. Sein evangelischer Amtsbruder spricht ins Mikro: „Nicht, dass Ihr meint, Ihr seid im falschen Film.“ Ganz im Gegenteil. Die „revolutionäre Botschaft von Weihnachten“ laute: „Mächtige sollen gestürzt und Unterdrückte aufgerichtet werden.“ Jesus‘ Programm sei „der Umsturz bestehender Verhältnisse“ gewesen. Deshalb sei der Protest gegen die Stilllegung eines profitablen Werks „Inhalt von Weihnachten“.
Die Pfarrer stimmen das „Vater unser“ an. Die Gespräche verstummen, es wird still; der kurze Gottesdienst ist beendet. Die Betriebsratsvorsitzende von Vaillant, Yasemin Rosenau, schreibt oben auf das hölzerne „Kreuz der Arbeitslosigkeit“ mit rotem Filzstift „Vaillant 2015“. Weiter unten steht „Vaillant 2003 – 2004“. Schon damals sollte das Werk plattgemacht werden. „Aus reiner Profitgier“, schrieb „metall“, die Vorläuferin der „metallzeitung“.

"Und weil der Mensch ein Mensch ist..."
Im Gänsemarsch setzt sich der Demo-Zug in Bewegung, bei Sonnenschein und 15 Grad Celsius; über Flora-, Luitpold-, Ring- und Augusta-Straße, durch die weihnachtlich geschmückte Fußgängerzone, bis zur kleinen Zeltbühne vor dem Bahnhof. Dort kommen wir nach knapp einer Stunde an. In der Glasfassade des Bahnhof-Centers spielt sich die Fassade des alten Postamtes von 1910. Heiko Fänger (5. Foto) spielt Gitarre und singt das Einheitsfrontlied („Und weil der Mensch ein Mensch ist…).
Der IG Metall-Bevollmächtigte der Stadt, Robert Sadowsky (7. Foto), ruft über den Platz: „Wir alle sagen Nein zu Schließung von Vaillant in Gelsenkirchen!“ Es gebe Alternativen. Oberbürgermeister Frank Baranowski, SPD, (8. Foto) sagt: „Man muss dieser Belegschaft die Chance geben, sich einzubringen.“ Wie 2003. Damals sei die Firma gestärkt aus der Krise hervorgegangen. Dieses Mal denkt die Firmenleitung nicht daran; das hat sie gestern noch betont, als NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) versuchte, sie von der Werksschließung abzubringen.
Der Betriebsratsvorsitzende der Vaillant-Zentrale in Remscheid, Rainer Häusler (9. Foto) , ruft die Gelsenkirchener auf, „weiter zu kämpfen“. In Remscheid sollen 170 von knapp 2000 gehen und ihre Arbeit – wie die ihrer 200 Kollegen in Gelsenkirchen – in die Slowakei verlagert werden.
IG Metall-Bezirksleiter Knut Giesler (10. Foto) erinnert an den 6. Mai. Damals hat er Vaillant besucht, und das Management habe gesagt, Gelsenkirchen sei „der“ Standort für mit regenerativer Energie betriebene Heizanlagen. Jetzt sollten zu den 2300 Arbeitsplätzen, die allein in den vergangenen zwölf Monaten verloren gegangen sind, weitere 200 hinzukommen. Die Stadt hat eine Arbeitslosenquote von 15 Prozent.
Am 20. November hat das Familienunternehmen Vaillant sein Verlagerungsprogramm „Fit for go“ bekannt gegeben. Zehn Tage später erhielt es den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2015. In der Pressemitteilung der Firma heißt es: Vaillant komme „als Anbieter von Schlüsseltechnologien für die Energiewende … seiner ökologisch-sozialen Verantwortung … in mustergültiger Weise nach.“ Knut Giesler ist empört: „Die Geschäftsführung sollte den Preis zurückgeben. Sie hat ihn nicht verdient!“ Und er zitiert noch einen Satz von der Homepage des Unternehmens: „Wer zur Vaillant-Group kommt, der bleibt.“

Slowakei übernimmt bis zu 70 Prozent der Investitionskosten 
Josef Hülsdünker (11. Foto), der DGB-Vorsitzende der Region Emscher-Lippe, hat sich gefragt, was Vaillant ausgerechnet in die Slowakei zieht – und ist auf der Internetseite des slowakischen Honorarkonsuls in Bad Homburg fündig geworden. Danach lauten drei der „10 Gründe, um in der Slowakei zu investieren“:
-„Einheitlicher Steuersatz i.H.v. 19% und 0% Dividende Steuersatz
-Niedrige Arbeitskosten bei hoher Arbeitsproduktivität
-Investitionsanreize“
Dort ist nachzulesen, dass es neben dem einheitlichen Steuersatz von 19 Prozent auf alle Einkommen „keine doppelte Versteuerung und keine Dividendensteuer“ gibt. Der durchschnittliche Monatslohn betrug 2008 inklusive Nebenkosten 977 Euro; er sei geringer als in Polen und Ungarn.
Das Reizvollste aus Unternehmersicht dürften die Investitionsanreize in den Bereichen „High-Tech“ und „strategische Dienstleistungen“ sein: Die Staatshilfe beträgt bis zu 50 Prozent – in besonderen Fällen sogar 60 oder 70 Prozent – der Investitionsausgaben!

Die Protestkundgebung geht zu Ende. Es ist 5 vor 12.

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