"Zugpferd" Wallraff begeistert Gewerkschafter
Die 125 Stühle im Konferenzsaal des Düsseldorfer DGB-Hauses reichten nicht aus, einige Besucher mussten stehen oder auf der Fensterbank Platz nehmen: Der Kölner Journalist Günter Wallraff war angekündigt - und entpuppte sich mal wieder als "Zugpferd", sagte der IG Metall-Bevollmächtigter Nihat Öztürk.
Insgesamt beteiligten sich am heutigen Aktionstag in NRW 40.000 Beschäftigte aus 415 Betrieben.
Seine ersten Industriereportagen hat Günter Wallraff, Jahrgang 1942, in "metall" veröffentlicht, der Mitgliederzeitung der IG Metall. Wallraff, "ein Freund der Gewerkschaften" (Öztürk), war der erste Journalist, der den menschenverachtenden Handel mit Leiharbeitern skandalisierte und die Öffentlichkeit aufklärte - 1985 als Türke Ali in dem Bestseller "Ganz unten".
Das Thema hat ihn seitdem nicht mehr losgelassen. Es ist aktueller denn je. "Die Zahl der Leiharbeitnehmer schnell nach oben", sagte Wallraff heute Abend in Düsseldorf. Von 27 EU-Ländern hätten 23 einen gesetzlichen Mindestlohn für Zeitarbeiter, "Deutschland nicht". Hierzulande würden stattdessen "Stammarbeiter gegen Leiharbeiter in Stellung gebracht und ausgespielt".
Es sei eine Propagandalüge der Kanzlerin, von zwei Millionen neuen Arbeitsplätzen zu reden. Das suggeriere einen erfolgreichen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Tatsächlich seien zwei Drittel der neuen Job prekär: 400-Euro-Jobs, befristete Arbeitsverhältnisse oder Leiharbeit. Entleiher würden Menschen anmieten "wie Presslufthämmer, Hebebühnen oder Kleinlaster" - sie seien Sachkosten.
Wallraff kritisierte "die Schamlosen und Unverschämten", sprich die oberen 10.000, die andere "Parallelgesellschaft". Er zitierte den früheren Finanzminister Peer Steinbrück, der in seinem Buch "Unterm Strich" den Reichen und Superreichen ein "asoziales Verhalten" bescheinigt. Wallraff sagte, wen er mag (Norbert Blüm, Kurt Beck, Hannelore Kraft) und wen nicht (Wolfgang Clement, Gerd Schröder, Helmut Schmidt). Er berichtete von seinem Undercover-Einsatz in der Hunsrücker Bäckerei Weinzheimer, von Mobbing-Opfern und "Anwälten des Schreckens", sprich Rechtsanwälten, die ohne Rücksicht auf Verluste das Recht des Stärkeren - der Arbeitgeber - durchsetzen. Den Gewerkschaften empfahl er ein Mobiles Einsatzkommando von Spitzenanwälten, Psychologen und Therapeuten zusammenzustellen, das beispielsweise zum Einsatz kommt, wenn Betriebsräte tyrannisiert werden.
Günter Wallraff unterhielt sein Publikum anderthalb Stunden lang bestens. Einem Zuhörer in der ersten Reihe war's ein Anliegen, ihm "ein dickes, fettes 'Danke!' zu sagen". Ein anderer Zuhörer schlug vor, "eine Art Wikileaks-Plattform" schaffen, um möglichst viele Fälle unternehmerischer Willkür und möglichst viele betriebliche Verstöße gegen die Menschenwürde publik zu machen. "Eine gute Idee", fand der 68-Jährige, aber damit müssten sich Jüngere beschäftigten.
"Leiharbeiter-Versteigerung"
Schon am Mittwochabend, 23. Februar, hat die Gewerkschaftsjugend am Hauptbahnhof eine Leiharbeiter-Auktion veranstaltet: Wer sich am billigsten verkaufte, bekam den Job - ansteller der dauerhaften Übernahme im erlernten Beruf. Mehr dazu im Video-Clip auf Youtube.